Es ist bemerkenswert, dass die Habilitationsschriften zu „pacta sunt servanda“, „Vertragstreue“, und „Naturalerfüllung“ in den letzten Jahren erschienen sind (z. B., T. Riehm, Der Grundsatz der Naturalerfüllung, Tübingen 2015; M.-P. Weller, Die Vertragstreue, Tübingen 2009; H. Unberath, Die Vertragsverletzung, Tübingen 2007).
Das Prinzip der „pacta sunt servanda“ (Vertragstreue) im Vertragsrecht geht davon aus, dass der Versprechende beim Abschluss eines Kaufvertrages darauf vertraut, dass die andere Partei den Vertrag auf die versprochene Weise erfüllen wird.
Im Kontinentalen Vertragsrecht wie im deutschen, japanischen und koreanischen Recht, ist es ganz selbstverständlich, dass der Gläubiger einen Anspruch auf die Erfüllung der Schuld vor Gericht verfolgen und ein Urteil zur Erfüllung erwerben kann. Diesen Weg bezeichnet man als „Naturalerfüllung“. Es gibt trotzdem Ausnahmen vom Prinzip der Naturalerfüllung, d. h., der Gläubiger kann vom Schuldner bei Unmöglichkeit der Leistung einen Schadensersatz statt der Naturalerfüllung verlangen. Dabei spielt die Unmöglichkeit eine Rolle für die Umwandlung der versprochenen Leistung in den Geldersatz („metamorphose“ im Sinne von F. C. von Savigny). Im Bezug auf das Prinzip des Naturalerfüllung kann man einen klaren Unterschied zwischen dem kontinentalen Vertragsrecht (beispielsweise dem deutschen, japanischen und koreanischen BGB) und dem anglo-amerikanischen Vertragsrecht auf dem Gebiet des Schadensersatzrechts erblicken. Im englischen Recht ist der Grundsatz der „Naturalerfüllung“ („specific performance“) nur ausnahmsweise für den Fall der Nichterfüllung anerkannt. Die Gewährung des Urteils auf Naturalerfüllung beschränkt sich auf bestimmte Einzelfälle. Dieser Kurzbetrachtung ist zu entnehmen, dass im deutschen Recht die Naturalerfüllung der grundsätzliche und primäre Rechtsbehelf wegen der Nichterfüllung des Schuldners für den Gläubiger ist. Die Geldzahlung dagegen ist ein sekundäre Rechtsbehelf und wird dem Gläubiger ausnahmsweise nur bei der Unmöglichkeit gewährt. Im anglo-amerikanischen Vertragsrecht dagegen stellt die Naturalerfüllung eine Ausnahme dar, und die Geldzahlung ist der prinzipielle Rechtsbehelf bei der Nichterfüllung für den Gläubiger.
Die vorliegende Arbeit ist ein Ergebnis dogmengeschichtlicher Untersuchungen zum „Rechtsbehelf wegen der vom Schuldner verschuldeten Nichterfüllung für den Gläubiger vom Römischen bis zum heutigen Recht“ und geht hierbei nur auf den Zustand der Entwicklung der Rechtslehre im Mittelalter ein. Die Treue der damaligen Glossatoren, Kommentatoren und Humanisten zum römischen Recht bringt zum Ausdruck, dass die versprochene Schuld des Schuldners sich erst durch gerichtliches Urteil in eine Geldschuld nach dem Prinzip der condemnatio pecuniaria wandelte. Der Einstandspflicht lag immerhin das Verschuldensprinzip zugrunde und der Schuldner hatte dementsprechend nur für dolus und culpa einzustehen. Die Einstandspflicht des Schuldners bildete daher keine Art einer verschuldensunabhängigen Haftung.
Das Prinzip der condemnatio pecuniaria, dass das gerichtliche Urteil auf Geld gehen muss, bezieht sich in der Sache nicht auf die Bildung einer verschuldens- unabhängigen Haftung, sondern darauf, dass sich jede auf die Leistung gerichtete Schuld des Schuldners mit dem gerichtlichen Urteil als eine Geldschuld darstellt. Dieses Prinzip galt im römischen Recht und in dem daraus rezipierten mittealterlichen Recht nicht nur für die Unmöglichkeit, sondern auch bei allen Arten der Nicht- erfüllungen. Hieraus ergibt sich, dass der Vorrang des Prinzips der Naturalerfüllung im Mittelalter wohl noch nicht entwickelt geworden war und